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„Corona“ – Pandemie

Tritt die Betriebsschließungsversicherung ein?

Viele Unternehmen haben Betriebsschließungsversicherungen abgeschlossen, die auch Betriebsschließungen im Rahmen der Bekämpfung von Krankheiten und Krankheitserregern abdecken. Sie glaubten deshalb, sie seien im Fall der Betriebsschließung aufgrund von Anordnungen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie versichert.

Das böse Erwachen folgte umgehend, weil die die Mehrzahl der Versicherungen den Deckungsschutz verweigert haben. Nur einige wenige Versicherungen wie die Basler Sachversicherungs-AG oder die HDI Versicherung AG haben Versicherungsnehmer auf der Grundlage der bestehenden Verträge entschädigt.

Am vergangenen Freitag haben verschiedene Versicherungen die Bereitschaft erklärt, gleichsam im „Kulanzweg“ und ohne Anerkennung einer Rechtspflicht an die betroffenen Unternehmen einen Betrag i.H.v. 15 % des vereinbarten Tagessatzes für die Dauer der versicherten Schließungszeit zu zahlen. Dies hat etwa die Allianz Deutschland AG mit Pressemitteilung vom 03.04.2020 verkündet. Versicherungsnehmer, die diese „Kulanzregelung“ in Anspruch nehmen wollen, müssen den Verzicht auf ihre vertraglichen Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag erklären.

Wir halten die rechtliche Position der Versicherungswirtschaft für höchst brüchig – wobei es selbstverständlich stets auf die konkreten Regelungen im Versicherungsvertrag ankommt. Wir stützen diese Einschätzung auf folgende Erwägungen.

Die Versicherer lehnen ihre Einstandspflicht mit folgenden Argumenten ab:

1. Die Betriebsschließungen sind nicht aufgrund einer individuellen Anordnung (Verwaltungsakt) des Gesundheitsamts angeordnet worden.

2. Die Betriebsschließungen sind nicht durch konkrete Infektionsereignisse im Sinne des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) veranlasst.

3. Es liegt eine Obliegenheitsverletzung des Versicherungsnehmers wegen der Verletzung der Anzeigepflicht gemäß § 23 III VVG vor.

4. Das neue Corona-Virus ist kein meldepflichtiger Krankheitserreger im Sinne der Versicherungsbedingungen.

zu. 1.

Eine (Rechts-) Verordnung ist eine von einem Organ der Exekutive wie z. B. den Landesregierungen (bzw. deren Ministerien), aufgrund einer gesetzlichen Ermächtigung erlassene abstrakt-generelle Rechtsnorm, Art. 80 I GG, die in der Normenhierarchie unterhalb von Gesetzen anzuordnen ist. Verordnungen erlangen mit Inkrafttreten unmittelbare Rechtswirkung. Sie gelten also, ohne dass es eines weiteren Vollzugsakts einer Behörde bedarf. Das Beispiel der StVO mag das veranschaulichen. Das Rechtsfahrgebot gilt aufgrund § 2 I StVO und nicht erst, wenn man von der Polizei aufgefordert wird, den rechten Fahrstreifen zu benutzen.

Eine Allgemeinverfügung ist ein Verwaltungsakt, der sich an einen nach allgemeinen Merkmalen bestimmten oder bestimmbaren Personenkreis richtet, § 35 S. 2 VwVfG. Eine Allgemeinverfügung entfaltet mit ihrer Bekanntgabe – Veröffentlichung – Regelungswirkung gegenüber dem Personenkreis, an den sie gerichtet ist. Auch hier bedarf es keiner weiteren Vollzugshandlungen durch eine Behörde.

Die Verordnungen der Länder zur Bekämpfung der Corona-Pandemie wurden auf der Rechtsgrundlage des § 32 IfSG erlassen. Sie entfalten unmittelbare Regelungswirkung. Die Anordnung der Schließung von Betrieben aufgrund einer solchen Verordnung gilt unmittelbar für jeden Betroffenen. Er hat seinen Betrieb zu schließen. Gleiches gilt für die auf der Grundlage von § 28 IfSG erlassenen Schließungsanordnungen in der Form von Allgemeinverfügungen. Auch hier sind weitere Vollzugshandlungen der Gesundheitsämter nicht erforderlich.

Nach der Terminologie der Versicherungsbedingungen zur Betriebsschließungsversicherung infolge von meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserregern liegt also eine Betriebsschließung durch die zuständige Behörde aufgrund des IfSG vor.

Zu 2.

Die Betriebsschließungen sind aufgrund von Verordnungen und Allgemeinverfügungen angeordnet worden, die sich explizit auf Vorschriften des IfSG stützen.. Gemäß § 28 I S. 2 IfSG kann die Behörde zur Verhinderung der Verbreitung des leicht übertragbaren Corona-Virus Betriebsschließungen anordnen und zwar auch und gerade dann, wenn es in den betroffenen Betrieben noch nicht zu konkreten Infektionsereignissen gekommen ist. Das IfSG erlaubt damit prophylaktische Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von Krankheitserregern. Korrespondierend deckt die Betriebsschließungsversicherung diese Fälle ab. Denn auch hierbei handelt es sich um Betriebsschließungen „aufgrund des IfSG“.

Zu 3.

Gemäß § 23 III VVG hat der Versicherte dem Versicherungsunternehmen unverzüglich nach Kenntniserlangung anzuzeigen, wenn nach Abgabe der Vertragserklärung des Versicherungsunternehmens unabhängig vom Willen des Versicherten eine objektive Gefahrerhöhung eintritt. Diese Anzeigepflicht besteht nur dann, wenn dem Versicherungsunternehmen die Gefahrerhöhung (= Corona-Pandemie) unbekannt war. Diese Annahme ist angesichts der Medien-Präsenz des Corona-Themas abwegig.

Zu 4.

Weitere Voraussetzung für die Einstandspflicht der Versicherung ist in der Regel die Meldepflichtigkeit der Krankheit oder des Krankheitserregers, der zu der Betriebsschließung geführt hat. Die meisten Versicherungsbedingungen enthalten einen Katalog der meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger und verweisen insoweit auf die Bestimmungen in §§ 6, 7 IfSG, die meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger aufzählen. Dort wird das „neue Corona-Virus“ nicht genannt. Dessen Meldepflicht ist am 30.01.2020 durch Verordnung (2019-nCoV) des Bundesministeriums für Gesund eingeführt worden.

Nach ständiger Rechtsprechung des BGH sind Allgemeine Versicherungsbedingungen nach dem Verständnis eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs auszulegen. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf die Interessen des Versicherungsnehmers an (BGH, Urteil v. 21.07.2011, IV ZR 42/10, Rz. 12). Dabei ist vom Wortlaut der Klausel auszugehen. Der mit ihr verfolgte Zweck und der erkennbare Sinnzusammenhang sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind (BGH, Urteil v. 09.03.2011, IV ZR 137/10, Rz. 16 f).

Danach dürfte in vielen Fällen gelten:

Die Klauseln beziehen sich auf die in §§ 6 und 7 IfSG namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger. Nach ihrem Wortlaut beziehen sie sich oft aber nicht auf die Gesetzeslage im Zeitpunkt des Vertragsschlusses oder den Stand der Versicherungsbedingungen. Schon nach ihrem Wortlaut legen solche Klauseln vielmehr das Verständnis nahe, dass sich der Kreis der meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger nach dem im Zeitpunkt der Betriebsschließung maßgeblichen Katalog richtet. Dieses Verständnis wird auch durch den Umstand belegt, dass sich der Katalog der meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger regelmäßig verändert.

Fraglich ist weiter, ob nur für Maßnahmen aufgrund der in §§ 6, 7 IfSG – in ihrer jeweils geltenden Fassung – genannten Krankheiten oder Krankheitserreger Versicherungsschutz besteht; das Corona-Virus ist in dieser nicht enthalten. Die 2019-nCoV basiert auf § 15 I IfSG. Damit wird das Bundesministerium für Gesundheit u.a. ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Meldepflicht für die in §§ 6, 7 IfSG aufgeführten Krankheiten und Krankheitserreger auf andere übertragbare Krankheiten oder Krankheitserreger auszudehnen. Die 2019-nCoV ist danach nichts anderes als die Erweiterung des Katalogs der gemäß §§ 6, 7 IfSG meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger um das „neue Corona-Virus“ im Verordnungswege. Vor diesem Hintergrund kann das „Neue Corona-Virus“ als einer der „in den §§ 6, 7 IfSG namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger“ verstanden werden.

Nach alledem wird man für viele Verträge von einer Einstandspflicht der Versicherung bei Betriebsschließungen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie auszugehen.

Die Versicherungswirtschaft hat ihr Angebot auch damit begründet, dass die von Betriebsschließungen betroffenen Unternehmen umfangreiche staatliche Transferzahlungen erhalten, die etwa 70 % des Schadens abdecken. Die Versicherungswirtschaft ist mit ihrem Angebot also bereit, die Hälfte dieses Schadens zu übernehmen. Diese Argumentation verkennt, dass es sich bei der Betriebsschließungsversicherung um eine Summenversicherung handelt, bei der die Versicherungsleistung im Schadensfall nicht von der konkreten Schadenshöhe abhängt. Die Versicherung schuldet eine Tagesentschädigung. Die Höhe des tatsächlichen Schadens ist ebenso irrelevant wie etwa staatliche Transferzahlungen. Insoweit ist der Hinweis der Versicherungswirtschaft auf staatliche Hilfsleistungen systemfremd. Zudem verkennt die Versicherungswirtschaft, dass es sich bei der Versicherungsleistung nicht um eine „Sozialleistung mit Bedürftigkeitsprüfung“ handelt.

Das Angebot der Versicherungswirtschaft verspricht zwar schnelles Geld; allerdings ist der Preis mit dem Verzicht auf den Großteil der Versicherungsleistung hoch. Die betroffenen Unternehmen stehen vor der Wahl zwischen „dem Spatz in der Hand und der Taube auf dem Dach“. Diese Entscheidung lässt sich letztlich nur auf der Grundlage einer rechtlichen Analyse der Vertragsbedingungen und einer Erfolgseinschätzung für die Durchsetzung der vertragsgemäßen Versicherungsleistungen treffen.

Hierbei unterstützen wir Sie gerne.

Dr. Eugène Beaucamp©

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